Limited Edition

19. – 21. März 2021

Jenny Schäfer
Carsten Benger


Der wohl größte Unterschied zwischen einer guten und der vermeintlich besten Wahl liegt wahrscheinlich im Versprechen der Unfehlbarkeit, das der besten Wahl immanent zu sein scheint. Doppelhaushälfte mit Balkon und Gartennutzung in Hamburg-Bahrenfeld – sicherlich eine gute Wahl. Herrschaftliche Kaufmannsvilla im Hamburger-Stil, „die ihren Bewohnern (sic) jeden Luxus und innovative Ausstattung bietet“ – beste Wahl!

Anderes Preissegment, ähnliche Dynamik: eine klassische Jogginghose von Fruit of the Loom für 20€ – sicher eine gute Wahl, aber eine Tapered-Hose mit Stretchbund aus Baumwolle von Comme Des Garçons oder Off-White – besser gehts nicht. Obwohl, besser geht ja bekanntlich immer, insbesondere wenn es um die Auswahl der Jogginghose geht. Ganz klassisch hatte die Jogginghose einst den Zweck Topathlet*innen zwischen zwei Höchstleistungen warmzuhalten. Harun Farocki formulierte das einst folgendermaßen: „Das Kleidungsstück signalisiert: Halt mich warm, denn gleich gehts weiter!“ Die warme und zugleich weiche Umarmung soll zu Bestleistungen anspornen, birgt aber die Versuchung nichts weitergehen zu lassen außer vielleicht sich selbst und lässt das olympische Motto vom „dabei sein ist alles“ golden glänzen. Das dabei sein aber nicht alles ist, zeigt der Blick in die Supermarktregale von Aldi, Lidl oder Rewe, wo neben den gewöhnlichen Marken die vermeintlich handverlesenen Edelhausmarken in goldglänzender Verpackung strahlen und den Geschmack der weiten Welt versprechen. Hier wird nichts anderes als die Illusion verkauft „es einmal besser haben zu können“, einmal den Duft der Besserverdienenden zu schnuppern.

Der Blogger Venkatesh Rao¹ hat dieses Phänomen (mittelmäßige Produkte, die in nicht minder mittelmäßiger Verpackung angeboten werden) bereits vor einigen Jahren mit dem Label „premium mediocre“ versehen. Hierzu zählt auch der „Luxus“ des Priority-Boardings, das den Genuss bereithält die Schlange zum Billigflieger links oder wahlweise rechts zu überholen. Ähnliche Sehnsüchte bedienen unzählige Kollaborationen zwischen klassischen Marken und angesagten Labels. So launchten das schwedische Möbelhaus Ikea und der Designer Virgil Abloh (Off-White) 2019 eine gemeinsame Linie, in der die klassische Frakta-Tüte vom Designer neu interpretiert und kurzerhand zur Skulptur erklärt wurde – „Instagram-tauglich“ und in der kleinsten Version für 9,99€ durchaus erschwinglich. So wird aus normal plötzlich „supernormal“².

Dem Mittelmaß mit Überhöhung zu begegnen und ihm den roten Teppich auszurollen, ist ein gewiefter Schachzug, um Unscheinbares sichtbar werden zu lassen. So erfährt eine durchschnittliche Sache eine Aufladung, die sich alsbald in einem Gewitter an Bedeutung entlädt. Wer würde sich sonst eine Einkaufstasche für knapp 10€ gönnen, die ansonsten ein zutiefst trauriges und unbeachtetes Dasein in den Untiefen gut sortierter Küchenzeilen fristen würde? Es bleibt ein Rätsel.

Ähnlich rätselhaft wie die Mauerreste im Gemälde „Das Gewitter“ von Giorgione (1508), die der Schriftsteller László Földény, in seinem Buch „Lob der Melancholie“³, zu einem Polyeder in Dürers „Melencolia I“ (1514) in Beziehung setzt. Selbst für die Protagonistinnen in Giorgiones Bild bleiben die Mauerreste ein Rätsel, dem sie keine Beachtung schenken, ganz zu schweigen von uns Betrachterinnen. Földény schreibt: „Für sie alle ist die Welt derart in Stücke zerfallen, dass sie kaum in der Lage wären, zwischen den wichtigen und weniger wichtigen Dingen zu unterscheiden. Es gibt keine Rangordnung, denn es gibt auch keine Ordnung. Aber auch als das Fehlen von Ordnung ließe sich das, was sie sehen, nicht bezeichnen. Jenseits von Ordnung und Unordnung: Das ist die Melancholie.“

*1 Ribbonfarm
*2 Elmshorn. Supernormal.
*3 László Földény: Lob der Melancholie, 2020 – Matthes und Seitz

Gefördert durch die Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und die Hamburgische Kulturstiftung »Kunst kennt keinen Shutdown«, 2020