Dirk Meinzer
Die Einfalt
12. – 14.1.2024
Im heutigen Ideologie-, Schilder-, Zeichen- und didaktischem Übermaß fehlt die Leerstelle, die Lücke, die Lust am offenbaren Geheimnis und dem Magischen.
Es ist sehr mühevoll, dieses Zuviel, das Schrecken verursacht, zu erfassen und zu erkennen. Was müsste geschehen und was könnte jeder Einzelne tun, damit wir nicht nur die Gefährdung des Lebens und die mediale Beschwörung des Untergangs wahrnehmen, sondern die Wahrnehmung zugleich mit dem ethischen und politischen Widerstand gegen diese Verluste von Leben und Welt verbinden. Gefordert ist eine individuelle Souveränität, die die Differenzierung wahrnimmt, erkennt und das Denken als äußerste Form des Widerstands begründet – die Kunst Dirk Meinzers bildet dieses Denken ab. Sein künstlerisches Werk ist davon getragen und so auch seine aktuellen Kunstwerke, die zu einer Wahrnehmung verführen, die dieses Erkennen erleichtert.
Prägend für Meinzers Werk ist das künstlich Ruinöse als stimmungssteigerndes Element, das Gefühle der Erhabenheit und Einsamkeit erzeugt, vor allem jedoch an die Vergänglichkeit (Vanitas) des Menschen und seines Tuns erinnert. Und trotzdem gereicht das Zerfallende seiner Umgebung zum Schmuck – es ist zugleich schön und hässlich, romantisch und erschreckend: ein Werk, das in seiner archaischen Anmutung und seiner einfachen Vollkommenheit dem Leben allen Sinn entzieht und mit seinen Rissen und seiner schrundigen Oberfläche auch einen Riss im Denken erzeugt.
Das Erhabene partizipiert am erhöhten Profanen. Der Moment des Betrachtens der Werke Dirk Meinzers gleicht einem Exzesses. Das Zusammenfallen des Heterogenen ist nicht nur der Einzug des Gastes mit Geschenken und Pracht an den Hof des Gastgebers, sondern ebenso Nacktheit und Entblößung, die keine heilige Aura hat. Das Feld des Heterogenen wird dominiert von Erotik, Verausgabung, Tod, Fest und Krieg. Das Feld des Homogenen von Arbeit, Akkumulation, Regeln, Familie und Gesetz. Das Homogene ist die Folie, vor der sich die Pracht und Katastrophe des Heterogenen entfalten. Anders ausgedrückt: Es handelt sich um Modelle zur Analyse gesellschaftlicher und historischer Phänomene, nicht um ein Propaganda-Monumente des Ausnahmezustands. Es ist Strukturierung von Erfahrung in Form von Werken. Im Wundern wird Mut freigesetzt und kann fundamentaler Wandel auf den Weg gebracht werden. Das Wundern eröffnet eine fruchtbare Kluft.
Felder, leere Flächen, die Rahmung, alles teilt, trennt, begründet die Setzung eines Risses. Von da an wird es interessant, es beginnt das Lauern auf eine Begegnung im Dasein. Meinzer gestaltet einen offenen Bildraum, der Erfahrung für Begegnungen eröffnet jenseits gängigen Wissens und Denkens. »Nicht zu wissen« ist das Direkteste und Vertrauteste.
Dabei zum Einsatz kommen phosphoreszierende Gesteinsmehle, die tagsüber eine fade Farbgebung haben, während sie im Dunkeln Energie in Form von Strahlung, ein Nachleuchten, abgeben. Das »magische« Leuchten erschöpfen sich jedoch nicht in der schieren Präsenz der Objekthaftigkeit. Vielmehr transzendiert es sein Jetzt durch das ihm eigene »Leiden(schafts)sgeschichtliche«, einem Prisma gleich.
Es ist nicht nur »Natur« und die Faszination für ihre Schönheit, sondern im Sinne eines abjektiven Verhältnisses auch Abscheu und Ekel vor ihr, und damit schafft Meinzer zugleich einen eigenen kulturtheoretischen und psychoanalytischen Diskurs. Strukturen heimlich oder verschlüsselt ausgetragenen Begehrens lässt der Künstler kontrolliert implodieren. Man gibt sich dem stillschweigende Bruch mit dem Sakrosankten hin, um Ambivalenzen von Begehren und Abscheu, künstlerischem Pathos und Nippes zu durchleben, und das alles präsentiert sich als zarte Tafelbilder, die eine ganz eigene, eigenartig-faszinierende Wirkung entfalten.
Mit freundlicher Unterstützung der Behörde Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg