2024
Jahresprogramm
„Ping-Pong ohne Hierarchie“
2024 jährt sich unser Bestehen in den Räumen des ehemaligen Friseurinstituts in der Arnoldstraße im zwanzigsten Jahr. Gleichzeitig befinden wir uns auf der Zielgeraden zum 50-jährigen Jubiläum im Jahr 2027.
Wir richten den Blick nach innen und nach außen. Was heißt es eigentlich in einem selbstorganisierten Künstler*innenhaus ein Programm zu machen? Und wie kann man innerhalb solcher Zeitspannen sichtbar werden und sichtbar bleiben? Zur bereits etablierten Filmreihe des Abbildungszentrums („Was filmt eigentlich…? Und warum?“) wird 2024 analog dazu ein Format begonnen, in der die Künstler*innen des Hauses sich vorstellen („Was für Kunst macht eigentlich…? Und warum?“)
Ein Künstler*innenhaus ist weniger homogen als es der Begriff zusammenfassen möchte. So divers die Menschen und künstlerischen Ansätze sind, so vielfältig zeigt sich das weitere Programm:
Es wird über Form verhandelt („Rund“), Licht und seine Abwesenheit („Spielarten des Lichts“, „Die Nacht“), auf den Raum als ursprünglichen Raum eingegangen, („Gestein“), den Raum mit seinen Gegebenheiten („Verräumung“, „Plein Walls Without Buckets“) oder der Raum als Konstrukt beleuchtet („Raumbildende Prozesse“). Geschichten werden erzählt und in Material übertragen („Silent Shouts“, „Dünnhäutig“ ), es wird geschwiegen oder sich der eindeutigen Lesbarkeit entzogen („& Because My Mother Was Crazy“). Material wird herausgelöst und des Ursprungszusammenhangs entnommen („Schöne lange Weile“), kombiniert und in neue Sinnzusammenhänge gebracht („Wanderungen“). Schicht um Schicht wird aufgebaut oder abgetragen („Untief“). Kurzfristige Allianzen entstehen, Gegenüberstellungen („Erratische Blöcke“) und langfristige Kooperationen („Why Compare?“, „Stories of the Mud“ „The Eye and the Spirit“).
Die weitere Einordnung verschieben wir auf später – vorerst gilt die herzliche Einladung: „Bitte oszillieren Sie / Ich bitte Sie! / Genießen Sie!“
Vorschau 2025
Jahresprogramm:
„Grow“
„Cosimo kletterte bis zur Gabelung eines dicken Zweiges hinauf, der ihm bequem Platz bot, und dort blieb er sitzen, ließ seine Beine hinunterbaumeln, kreuzte die Arme, indem er die Hände unter die Achselhöhlen steckte, und vergrub seinen Kopf zwischen den Schultern, während ihm der Dreispitz über die Stirn rutschte. Unser Vater neigte sich aus dem Fenster heraus. „Wenn du das Sitzen da droben satt hast, wirst du’s dir anders überlegen“ rief er ihm zu. „Das werde ich mir nie anders überlegen“, antwortete mein Bruder von seinem Zweige […] und er hielt Wort.“ (Aus Italo Calvinos „Der Baron auf den Bäumen“) Das NEIN ist ein verführerisch-starkes Konstrukt, aber was gibt es neben der Verweigerung?
„grow“ ist der thematisch-assoziative Anknüpfungspunkt für die Künstler*innen, die 2025 im Künstler*innenhaus FRISE ausstellen. Die Ausstellungen des Jahresprogramms umkreisen auf verschiedenen Ebenen das Ranken und Mäandern, das In-Frage-stellen, das (Er)Wachsen und Erweitern. Das Begehren nach grenzenlosem Fortschritt scheint den Menschen, ein scheinbar endloses Wachstum unserer Welt immanent zu sein. Möchte man sich dem verweigern? Und wenn ja, wie? Ist es möglich, sich einer zwingenden Entwicklung zu entziehen? In welcher Beziehung steht das kapitalistische
Wachstum des Anthropozäns zu der steten, stillen Cytokinese von Lebewesen? Anna Lowenhaupt Tsing folgt in ihrem Buch „Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus“ den unterschiedlichen Wachstumssträngen des Matsutake-Pilzes unserer Welt. Kaleidoskopartig beschreibt sie das Wachsen des wertvollen Speisepilzes. Sie geht seinen Verformungen und Neuansiedelungen an unerwarteten Orten nach, sowie den kapitalistischen Wegen, die auf den Spuren dieses Pilzes eingeschlagen werden. Ihr Wunsch ist, dass sich Wissen und Wissenschaft zu einer „kosmopolitischen“ Geschichte hin öffnen. Sie nutzt den Matsutake als Symbol und Mittel, um auf Überschneidungen von akademischem und volkstümlichem Wissen hinzuweisen – und mit diesem nicht zu einem Ende zu kommen, sondern zu einem ständigen Neubeginn.
Unser Jahresthema „grow“ bildet den Rahmen für die verschiedenen Aspekte des Wachsens – physisch, mental, gesellschaftlich, ökologisch und digital. In den Ausstellungen greifen die Künstler*innen dies auf vielfältige Weise auf, wobei sowohl das individuelle Wachstum als auch das kollektive Weiterentwickeln verhandelt werden: Axel Loytved thematisiert beispielsweise in „Homegrown“ den Kreislauf von Wert und Wertlosigkeit durch das Sammeln und Umformen von Alltagsmaterialien. Das Kollektiv Drawing deCentered nutzt Wetterdaten, um in „Atmospheres“ die Beziehung zwischen Raum, Emotionen und Architektur zu erforschen. Lulu McDonald interpretiert Rauch in „Wild Fire“ als ökologischen Vektor, der Leben transportiert und Ökosysteme beeinflusst. Anna Skov Hassing hinterfragt in „Single“ Maßstäbe und Zeit mittels Malerei und Installation und verbindet menschliche Wahrnehmung mit technologischen Entwicklungen. So entsteht im Laufe des Programms ein vielfältiger Dialog über die unterschiedlichen Spielarten von Wachstum, der sich in den Werken als persönlicher wie gesellschaftlicher Prozess widerspiegelt. Wir laden ein, darüber nachzudenken, was es bedeutet, zu wachsen – und wie unterschiedlich dieser Prozess für die Einzelnen aussehen kann.
Neben den unterschiedlichen Ausstellungen mit ihren künstlerischen Auseinandersetzungen ist das Artist-in-Residence-Programm (AiR) ein zentraler Bestandteil der FRISE. Für Künstler*innen, die von außerhalb anreisen, steht das Gastatelier als Wohn- und Arbeitsraum zur Verfügung. Die Möglichkeit vor Ort zu leben und zu arbeiten, ist eng mit dem Jahresprogramm verknüpft und ermöglicht es den Künstler*innen, sich intensiv mit ihren Projekten auseinanderzusetzen. Die Künstlerinnen des Kollektivs Young Valley Soil leben beispielsweise in verschiedenen europäischen Städten. Um ihre kollektive Praxis zu reflektieren und gemeinsam fokussiert an einem Ort arbeiten zu können, ist die 3-wöchige Residenz im Künstler*innenhaus FRISE unerlässlich. Sie werden vor Ort die Ausstellung „Long Swallow“ erarbeiten und die Zeit für Recherche und Vernetzung nutzen. Um diese wichtige Ressource des Gastateliers weiterhin anbieten zu können, sind wir auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Die Förderung des Jahresprogramms trägt also auch dazu bei, den Gastkünstler*innen in Zukunft weiterhin gute Arbeitsbedingungen zu bieten.
2023
Jahresprogramm
„K3. Gegenwart in Krisen“
Nach dem Mount Everest ist der K2 an der Grenze zwischen China und Pakistan der zweithöchste Berg der Welt. Unsere Gegenwart ist gezeichnet von Krisen, die aktuell in einer Verdichtung erscheinen: Die Klimakrise, die uns andere Verhaltensweisen abverlangt. Die Corona-Pandemie mit ihren Eingriffen und Veränderungen im Persönlichen, Gesellschaftlichen und Wirtschaftlichen. Als dritte Katastrophe und Krise schiebt sich der russische Angriffskrieg
in der obersten Wahrnehmungsebene über alles.
Katastrophen, Krisen, Kriege – es hat sich ein K3 aufgetürmt. Vermutlich niemand bleibt unbeeinflusst im Denken, Fühlen, Handeln. Global geraten die Verhältnisse ins Schwimmen, sicher Geglaubtes gibt keinen Halt mehr. In Anbetracht dessen, in diesem unübersichtlichen Gelände, analysieren Künstler*innen den status quo und suchen nach Wegen, Umgänge mit dieser krisengezeichneten Gegenwart zu finden.
Die Positionen des Jahresprogramms beschäftigen sich mit den Auswirkungen anhaltender Ausnahmezustände, physischen und psychischen Transformationsprozessen, der Erschaffung von Anordnungen und Ordnungssystemen, Transitsituationen, Genderdynamiken, Zersetzungs- und Entstehungstendenzen im Anthropozän sowie Metaphern als Denkbildern. Hochsitze werden als architektonische Nachfolger innerdeutscher Wachtürme präsentiert, genähte und gefilzte Büroausstattungen verrücken den Blick auf Normalität, und Videoinstallationen fragen nach dem Verhältnis von Realität und Fiktion, während in einem performativen Vortrag wuchernde Bildarchive semantisch organisiert oder Generationenwechsel von Künstlereltern zu Künstlerkindern betrachtet werden. Als Analogie zu Hannah Arendts „Banalität des Bösen“ kann ein Film aus einem französischen Atomkraftwerk in Zusammenhang mit Zeichnungen verwüsteter Lebensräume gelesen werden. Andere Ausstellungen befassen sich mit Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und anderen Strukturen für Reproduktionsarbeit und Mutterschaft / Elternschaft. Dabei geht es um Generationalität, Solidarität, Zukunft von Menschen – (no) futures?
2022
Jahresprogramm
„Schleifen & Verschieben“
Schleifen und polieren. Es wird kein Haus niedergerissen, aber manches kreist um das Moment zarter Destruktion. Sich ziehend-schleppend über eine Fläche dahinbewegen. Prozesse der Verdichtung changieren mit gedachten Loops. Schleifen als Dekor. Ein Band, das zu zwei Schlingen und zwei Enden leicht lösbar geschlungen ist. This time with style.
Etwas verschieben, in eine andere Lage bringen, nichts unerlaubt beiseiteschaffen. Etwas auf einen anderen Zeitpunkt verlegen. Aufschieben. Dennoch, es wird geben: Simultane Erscheinungen und Establishing Shots. Minimale Bewegungen und Langzeitbeobachtungen. Kollaps, Matsch und Materialschichtungen. Crémant und Care.
Schleifen und Verschieben von Orten, von Zeit, von Medien in Medien.
Für das Jahresprogramm 2022 arbeiten wir mit folgenden Künstler*innen zusammen:
Andrea Becker-Weimann / Lee Campbell / Ilker Cinarel / Joao Dall’Stella / Joffre Faria / Sebastian Gräfe / Alexa Grande / Arndt Henning / Janus Hochgesand / Kathrin Hoffmann / Farideh Jamshidi / Kolja Kärtner / Russell Kohlmann / Daniel Kötter / Anik Lazar / Marie Legler / Sean Leviashvili / Anne Linke / Paula Linke / Jordan McKenzie / Wrik Mead / Julia Metropolit / Thies Mynther / Marcus Neufanger / Zoe Popp / James Pratley / Stephen Riscica / Klas Rühling / Caspar Sänger / Ernesto Sarezale / Wiebke Schwarzhans / Sebastian Severin / Lukas Sonnemann / Sandra Trostel / Hamid Waheed / Stefanie Wilhelm / Wayne Yung & Kids & Guests
Das Programm wird darüber hinaus vervollständigt durch den Städte-Austausch Dresden – Hamburg im April 2022 und internationale Austauschaktivitäten im AiR des Künstler*innenhauses.
2021
Jahresprogramm
„Pandemische Formate“
„Pandemische Formate“ – Pandemie (von altgriechisch παν pan‚ gesamt, umfassend, alles und δῆμος dēmos – Volk).
Bypass-Versuche neuer Vermittlungsformen nach dem Prinzip der Verschränkung von Innen und Außen, von digitalem und öffentlichem Raum.
In den Monaten der Corona Pandemie – scheint es, als würde das kulturelle Leben einen Fast-Infarkt erleiden. Einschränkungen von Bewegungsfreiheit und analogem Austausch führen zu künstlerischen „bypass“-Versuchen, die einerseits in der erweiterten Nutzung des digitalen Raumes, jedoch auch in der Neuentdeckung der nahen Umgebung und des öffentlichen Raumes münden. Für das Jahr 2021 will FRISE diese Erfahrungen für die künstlerische Arbeit und deren Vermittlung nutzen, d.h. die vorhandenen räumlichen Möglichkeiten, Ressourcen und Potentiale intensivieren. Unterschiedliche Ausstellungsformate, auch im Außenraum der FRISE, ergänzen und unterstützen das Programm der Galerie.
Die Auswahl der Projekte von Künstler*innen für das Ausstellungsprogramm 2021 reflektiert das transitorische Moment künstlerischer Arbeit: Übergänge von Malerei in Skulptur, das Überprüfen des Realen versus des Fiktiven, sowie das Interesse und die Bereitschaft neue Formen auszuprobieren, bzw. zu etablieren. Der so entstehende Wechselbezug zwischen einem Innen und einem Außen entwirft Fragen nach neuer Orientierung.
Diese Prozesse korrelieren mit dem Übergangshaften der gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen. Und er könnte zum künftigen Dauermodus werden in Anbetracht der anstehenden globalen Themen (Klimawandel, Pandemien, Schutz von Ressourcen und deren gerechtere Verteilung u.a. Das Jahresprogramm der FRISE wird zum Versuchsfeld für künstlerische Selbstbehauptungen und Neukonstruktionen in Zeiten des Umbruchs .
Die einzelnen Formate können sich überlagern, im Idealfall kann ein Projekt im Ausstellungsprogramm alle Formate gleichzeitig bespielen.
So versuchen wir die Präsenz künstlerischer Arbeit im näheren Umfeld/Stadtteil zu öffnen.